Erinnerungen an Madrid (Hildegund Möller)

Schließlich kamen Friedrich Wilhelm und Gottfried in das Mädchenzimmer, die Schränke ins Dachgeschoss in den Vorraum der Bodenkammern und das Mädchen in das Schrankzimmer.

Tante Lieschen schlief oben in der Giebelkammer, was sie sich in ein Putzstübchen verwandelt hatte. Dann kam noch ein Doppelbett ins Kinderzimmer, in dem ich mit Anneliese schlief. Ob ich vorher schon mit Maria Luise dort geschlafen hatte, weiß ich nicht mehr.

Die Tür zum Schlafzimmer der Eltern war mir ein rechtes Ärgernis. Wenn die Eltern zu Bett gingen, wurde ich wach. Wenn es Mutter merkte, bekam ich Schimpfe und konnte erst recht nicht einschlafen. Wenn ich aber wach war, und sie wussten es nicht, erfuhr ich viel Interessantes, was nicht für meine Ohren bestimmt war. Ich erfuhr auch von allerlei Sorgen der Eltern. Ich wusste auch zu aller erst, wenn ein Geschwisterchen unterwegs war, bei Friedrich Wilhelm noch nicht, aber bei Anneliese.

Maria-Luise mit Hildegund ??
Maria-Luise mit Hildegund

In Vaters Tagebuch, das er sehr gewissenhaft führte, stand am 4.3.07: „Schlimme Nacht und schöner Morgen“. Bei Friedrich Wilhelm, der am Tag geboren wurde, ließen Mutters Wehen nach. Sie stand auf und zog uns an. Als sie uns kämmte, sangen wir plötzlich: ”ihr Kinderlein kommet”. Da mussten die Eltern sehr lachen, und da dauerte es garnicht mehr lange, und Vater zeigte uns, woran man einen Jungen erkennen kann. Bei Anneliese merkte ich, das es im Gange war. Dann machte uns Vater wach und zeigte uns ein Wunder. Sie hatte ein liebes Köpfchen mit krausem, hellblonden Härchen, hübscher als alle Kinderbilder im Prado. Gottfried kam auch in der Nacht. Da weckte ich Maria- Luise, weil ich es allein nicht vor Freude aushielt. Gretel hatte einen mächtigen dunklen Schopf. Wir durften sie schon sehen, als sie gebadet wurde. Hans Heinrich kam am Abend. Mutter kam zu mir und bat mich, den ”Kindern” das Abendbrot zu geben und sie ins Bett zu bringen. Mutter sah furchtbar elend aus. Dann kam auch noch ein tolles Gewitter und noch ehe die Hebamme kam, war er schon da und Vater zeigte ihn uns noch ungewaschen, aber sehr niedlich.

Wer mag dieses Baby sein?
Die Großen mit  Baby Anneliese im Korbwagen

Vom Schlafzimmer der Eltern kam man ins ”grüne Zimmer”. Das war erst Mutters Wohnzimmer gewesen. Dann entdeckte Vater kostbare ”maurische Möbel” kurz vor dem 1. Weltkrieg. 1915 sollte er nach Deutschland zurückkommen und freute sich darauf. So kaufte er einige dieser kostbar eingelegten Stücke. Die sollten als Erinnerung seine Wohnung in Deutschland schmücken. Da wurde ein großer Teil der Wohnzimmermöbel mit in das Schlafzimmer der Eltern gestellt, und Vater richtete es sich maurisch ein. Damit wurde das Zimmer nicht mehr bewohnt.

Es war so gemütlich gewesen. Ich erinnere mich an meinen dritten Geburtstag, als Großmutter zu Besuch kam und mir ein Körbchen mit Puppengeschirr schenkte. Mancher netter Besuch war dort. Tante Anna und Tante Greta waren oft da. Da kam auch mal Tante Ida mit. Die war Kammerfrau bei der Prinzessin Salm, die einen Besuch am spanischen Königshof machte, und als wir zum Gutentagsagen ins Zimmer geholt wurden, schenkte sie Maria- Luise eine Gans, Friedrich Wilhelm ein Schweinchen, auf dem er reiten konnte. Ich bekam einen Mops, genau wie die anderen Tiere mehr oder weniger aus Plüsch. Der hatte herrlich exzentrische Knopfaugen. Die konnte man verdrehen. Dadurch wechselte er seinen Ausdruck. Als ich mit ihm vor dem Spiegel stand, sah ich, dass er mir mächtig ähnlich war, genau so einen kugelförmigen Kopf, genau so ein rundes Gesicht, genau dieselbe Neigung, Fratzen zu schneiden. Herrlich! Gans und Schwein waren so seriös. Da unser Esszimmer so dunkel und fußkalt war, spielte sich das Familienleben im Winter in diesem Schlafzimmer ab, an sehr kalten Tagen aßen wir sogar oben.

1917 waren es fünf Albrecht-Kinder
1917 waren es fünf Albrecht-Kinder

Maria- Luise und ich hatten dort einen Arbeitstisch mit zwei Schubladen, in denen wir unser Schulzeug aufbewahren sollten. Es gingen aber nur ein paar Hefte hinein. Das andere Zeug trugen wir im Ranzen hin und her. Dort Schulaufgaben zu machen war eine Qual. Die kleinen Geschwister spielten um uns herum, und beim Stillsitzen wurden die Finger so kalt, dass man den Federhalter kaum halten konnte. Schön warm wurde es am späten Nachmittag, wenn die Rollläden herunter gelassen wurden und wir alle dicht um den großen Tisch saßen. Frostbeulen hatten wir alle, Gottfried und Tante Lieschen am Schlimmsten.

Und 1919 waren es dann sechs Kinder
Und 1919 waren es dann sechs Kinder

Eine Treppe höher lagen die 4 Bodenkammern, ein Trockenboden, der die Fläche des halben Hauses einnahm, und das Giebelzimmer, in dem Tante Lieschen schlief. Auf dem oberen Treppenpodest konnte man wunderbar spielen.
Auch war das ganze Haus unterkellert. Unter dem Esszimmer war der Heizungskeller für die Kirche. Vater musste im Winter um vier Uhr aufstehen, um die Kirche zu heizen. Da muss wohl eine alte Anlage eingebaut worden sein. Vater hatte allen Respekt vor den Kesseln und beim Heizen musste er immer wieder über den kalten Hof in die Kirche gehen, um zu sehen, ob noch alles in Ordnung wäre, und nach der Temperatur sehen. Das war natürlich nicht gesund und er erkältete sich oft dabei.

Sonst war da auch noch der Speisekeller, der im Sommer schön kühl war, und der Kohlenkeller, wo auch der Gaszähler war.
Das Erste, was Vaters Nachfolger machte, war, dass sie die Möbel, die erst jetzt wieder modern geworden sind, aus dem Weg schafften. Dann ließen sie einen Keller als Waschküche ausbauen, Zentralheizung fürs ganze Haus anlegen und viele Türen zumauern. Die Wäscherei jeden Monat in der Küche war schon eine Plage. Es ist schwer, ohne zu planschen, zu waschen, und die kleine Küche schwamm bald. Es war auch immer viel Wäsche.

Alle sechs Albrecht-Kinder bereits in Deutschland
Alle sieben Albrecht-Kinder – am linken Rand Hildegund – hier bereits in Deutschland

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