Erinnerungen an Madrid (Hildegund Möller)

Aber auch Prominente wurden dort empfangen. Da kam auch der Jesuitenpater Obermeyer (?), der die Höhlen von Altamira bearbeitete und sie in Museen nachgestaltete. Sauerbruch war auch mal da und stellte seinen beweglichen, künstlichen Arm vor. Dazu hatte er einen Kriegsversehrten mit, dem er mit diesem Arm hatte helfen können. Er logierte neben uns in der Botschaft und hatte Spanien die Linzenz angeboten. Durch den dauernden Krieg mit den Rifkabylen hatte Spanien viele Krüppel. Dann holte uns Vater sogar in den Nachthemden herunter. Wir bewunderten die Konstruktion sehr. Es kostete uns doch Überwindung, die braune Holzhand mit den schwarzen, eisernen Fingernägeln zu drücken. Auch die Wagnersänger machten Höflichkeitsbesuche bei den Eltern, genauso wie deutsche Zirkuskünstler. Eine Truppe von Liliputanern, die sich in Frankreich aufhielten, als der Krieg ausbrach, waren nach Spanien abgeschoben worden. Ihr ganzer Besitz, kleine Wagen mit Ponys und all ihr Artistengepäck, war einbehalten worden. Einer von ihnen, Herr Schmidt, hatte wohl in Madrid Arbeit gefunden und war sonntags ein paar mal zum Mittagessen eingeladen. Der bekam wie wir ein Kissen auf den Stuhl gelegt, damit er vom Tisch essen konnte.

Vater Wilhelm mit vier seiner Kinder
Vater Wilhelm mit vier seiner Kinder

Und damit sind wir bei unserem Esszimmer. Da standen nun eigene Möbel. In der Mitte ein großer, stabiler Esstisch mit doppeltem Auszug und vielen Stühlen. Ein breites Fenster an der Ostseite nahm fast die ganze Wand ein, ließ nur noch Platz für den ”Aparador”, einer kleinen Anrichte. Unten war das Sonntagsgeschirr untergebracht, oberhalb dieses Schränkchens war ein Regal, auf dem Schmuckstücke standen, der Samowar und allerhand Vasen, Krüge und Tassen, herrlich für Leute, die gerne Staub wischten oder mit diesen Pflichten nichts zu tun hatten.

Zwischen diesem Schrank und der Ofenecke stand ein kleines, rotes Ledersofa. Um die Ecke herum kam die große Tür zum Gesellschaftszimmer. Die vierte Wand bestand aus einer großen Tür zum Flur und einer kleinen Tür zum kleinen Gang, der zur Küche führte. Zwischen den Türen stand ein dreitüriger, nicht sehr tiefer Schrank, wo das tägliche Geschirr, Brot, Zucker, Hackmaschine und Ähnliches aufbewahrt wurde. Darauf standen zwei Leuchter mit je fünf Kerzen und ein kupferner Teekessel mit einem kleinen Spirituskocher darunter. Der kleine Gang führte unter der Treppe zur Küche und hatte ein niedliches Fenster. Auf dem Fensterbrett stand die Karaffe aus porösem Ton mit abgekochtem Wasser und der Lebertranflasche. Das schreckliche Zeug wurde vor dem Essen ausgeteilt, und Maria-Luises Löffel war das Maß für die gerechte Verteilung. Wir haben die Löffel tüchtig abgeleckt, damit nicht auch noch die Suppe danach schmecken sollte. Ein Gemeindeglied hatte ein Engrosgeschäft für Drogeriebedarf. Dort wurde im Herbst eine große Flasche gekauft. Nun sollte das Mädchen diese Flasche abholen. Sie verwechselte aber die Namen und brachte eine riesige Flasche Rizinus mit. Mutter entdeckte aber rechtzeitig die Verwechslung, und so konnte das Zeug noch umgetauscht werden.

Der kleine Gang hatte eine Tür zum Wohnzimmer, eine zum großen Flur, eine zum Keller und eine zur Küche. Das Haus war überhaupt mit Türen gesegnet. Auch die Küche hatte 3 Türen. Der Tür zum kleinen Gang gegenüber war die Tür zur Speisekammer, auf der Fensterseite gegenüber war die Tür zum Gang. Unter dem Fenster stand der Küchentisch, im Winkel dazu an der Kellerwand das spanische Waschgefäß. Das stand auf Beinen, war aus Holz mit Zinkblech ausgeschlagen und hatte einen Deckel, der auch als Tischplatte benutzt werden konnte. Darüber war ein an die Wand gemauertes Regal. In der Ecke, die noch frei war, stand die Kochkiste, gegenüber von dem Fenster war eine Tür zum Gang. An der Wand zum Klo und der Speisekammer stand der Herd und ein Spülstein. Der Herd war auch so ein Geniestreich. Über der Speisekammer und einem Teil der Küche lag das Badezimmer und darüber war eine Bodenkammer. In der Bodenkammer war ein Wasserbassin, von dem Rohre, die zu einer Heizspirale geformt im Herd lagen und in denen Wasser floss, ausgingen. Wurde der Herd geheizt, stieg das warme Wasser durch die Küche und das kalte Badezimmer in das Bassin auf dem Boden hoch, und kaltes Wasser von oben floss herunter. Da zirkulierte das Wasser vergnügt zwischen Küche und Badezimmer. Im Bad und auch in der Küche hätte man aus diesem Kreislauf warmes Wasser nehmen können, wenn das Wasser warm geworden wäre. Aber auf dem weiten Weg durch die kalten Räume wurde es nur lauwarm und das Badezimmer hatte keine weiteren Heizungen. Das Baden war im Winter eine sehr kühle Angelegenheit, im Sommer konnte man es vor Hitze nicht aushalten. Wir bekamen später eine Gastherme ins Bad. Die Ostseite des Hauses lag im Schatten der etwas höheren Kirche und bekam wenig Sonne ab. Sie sah aber auch ganz hübsch aus. In der Mitte der Front waren auf halber Höhe die Treppenfenster, rechts und links davon die 3 flügeligen Fenster von Küche und Esszimmer. Zwischen Esszimmer und Küche war die sehr steile Treppe, die wir oft heruntergepurzelt sind.

In den oberen Räumen standen nur unsere eigenen Möbel. Die Räume waren genau so angelegt wie im Erdgeschoss, nur dass der Raum über dem Studierzimmer noch eine Tür mehr hatte.

Im ersten Stock war halb über der Küche das Schrankzimmer mit einem Drittel vom dreiflügeligen Fenster. Die beiden anderen Flügel gehörten zum Bad, dann kam das Klo. Gegenüber was über dem Vorzimmer das Mädchenzimmer, über dem Studierzimmer das grüne Zimmer, über dem Salon das Schlafzimmer der Eltern und über dem Esszimmer das Kinderzimmer, durch die große Flügeltür mit dem Elternschlafzimmer verbunden. Das hatte aber auch noch eine Tür zum Flur und eine zum Balkon. Im Kinderzimmer wurde es mit jedem Kind enger. Wir hatten ein uraltes Kinderbett für das Jüngste. Das hatte unten eine Schublade, und dort wurden unsere Sonntagskleider verwahrt. Im Bett war zwar eine kleine Gummiunterlage, aber Babys strampeln schließlich, und dabei verschob sich die Unterlage, und so war die Matratze tagsüber zum Trocknen auf dem Balkon. Ich hatte Montags das Amt, die Sonntagskleider auszubürsten und von Flecken zu befreien und hatte das Gefühl, sie die Woche über der Berieselung preis zu geben.

Hildegund mit Friedrich-Wilhelm und Gottfried
Hildegund mit Friedrich-Wilhelm und Gottfried

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