Erinnerungen an die Verwandschaft meines Vaters (Hildegund Möller)

Aus einer Heirat ist dann nichts mehr geworden. Ebenso heirateten die Brüder nicht. Die Großmutter wollte wohl zu sehr bestimmen und zu hoch hinaus und machte ihnen die Partner dann tüchtig madig. Sie hatten viel Respekt vor der Großmutter und wollten in Harmonie mit ihr leben. Sie war sehr bestimmend und von großer Angst geplagt, dass ohne sie und ihre kleine Pension die Familie nicht existieren könnte. Als sie starb, wurde sie herzlich betrauert, aber das Leben ging so gut wie möglich weiter, für die drei Geschwister vielleicht sogar etwas leichter, weil sie sich nun wieder nach eigenen Wünschen einrichten konnten.

Tante Lieschen, Onkel Hans und Onkel Fritz in Grenz
Tante Lieschen, Onkel Hans und Onkel Fritz in Grenz

Onkel Hans war in der Stimme Vater sehr ähnlich. Er ist als Jüngste von seiner Mutter verwöhnt worden, war wohl auch sehr zart. Die Großmutter war bei seiner Geburt schon 40 Jahre alt. Durch den Krieg lernte er keinen Beruf und kam mit 22 Jahren an die Front. Er war sehr musikalisch und konnte schön erzählen. Nach dem Krieg hatte er so kleine Notberufe und winzige Einnahmen. Er schrieb kleine Aufsätze für die Heimatzeitung über Sagen aus der Gegend und Funde, die im Boden gemacht worden waren von der Steinzeit hin bis zum 30 jährigen Krieg, machte Gedichte, sammelte Erfahrungen bei Behandlung seines Viehs mit Homöopathie, ließ sich zum Fleischbeschauer ausbilden und brachte dann von Hausschlachtungen schöne Schlachtschüsseln mit, versuchte sich einige Zeit als Imker, machte Schreib- und Rechenarbeiten in der Bürgermeisterei und war klug genug, seine SVK- Beiträge zu zahlen, sodass er eine kleine Rente hatte. Da erzählte er dann in aller Freundschaft von den Lieper Verwandten, den Erben des Bauernhofs in Liepe, die den Großvater nicht ausgezahlt hatten. Der Onkel Ferdinand war wohl wirklich nicht sehr nett, aber seine Frau hätte sich nach Kräften bemüht zu helfen und hätte ihnen, solange sie lebte, Weihnachten eine große Gans geschickt und den hohlen Bauch mit Speck ausgestopft. Auf dem Hof war auch noch Onkel Wilhelm, der jüngste Bruder des Großvaters, als Knecht. Er war Pate unseres Vaters und schenkte ihm zu jedem Geburtstag von seinem geringen Einkommen den Patentaler.

Familie des Onkels Ferdinand Albrecht in Liepe 1921
Familie des Onkels Ferdinand Albrecht in Liepe 1921 (ganz rechts im Bild Vater Wilhelm während seines letzten Deutschlandbesuchs)

Er litt an einem Nabelbruch. Der Arzt hatte ihm strengstens verboten noch schwere Arbeit zu tun und besonders sollte er Erschütterungen vermeiden. Operationen waren damals noch viel riskanter. Da juckte es Onkel Wilhelm zu probieren, ob der Arzt wohl recht hatte. Es war gerade Heuernte. Da sprang er vom hohen Fuder herunter. Der Bruch rutschte herein und hat ihn nie wieder geplagt.

Die Familie lebte in Papendorf, einige Vettern in Pasewalk. Die kamen Sonntags gern heraus, um die Verwandten zu besuchen, und taten sich gütlich an der guten Bewirtung. Landleuten wuchs es ja sowieso alles von allein zu. Nun war es aber Frühherbst. Das Schwein war etwas kleiner ausgefallen und die Familie musste sehr einteilen, damit sie noch bis zum Schlachten hinkam. Da sahen sie die Verwandten von weitem kommen. Da machten sie die Fensterläden dicht, saßen still im Dunkeln und taten, als wären sie nicht zu Hause. Die Vettern kamen, fassten an die Tür, die unsere Leute vergessen hatten abzuschließen, und wunderten sich, daß die Familie im Dunkeln saß. Da half es nun nichts, die Gäste mußten bewirtet werden.

Onkel Wilhelm soll noch lange in Liepe gespukt haben. Als Tanti dort zu Besuch war, hat er ihr das Deckbett fortgezogen und dazu gekichert. Er war als Gespenst genau so freundlich wie in seinem Leben.

Onkel und Tante und Onkel
Onkel Fritz, Tante Lieschen und Onkel Hans

Onkel Fritz war als Hofbesitzer eingetragen, das schien allen aber mehr eine Formsache, machte ihn aber ein bisschen traurig. Er hatte ja auch keinen leichten Dienst in der Windmühle und trug seinen redlichen Teil zum Leben bei. Er bastelte viel und ungeheuer haltbar. Von seiner Mühle hat er ein ganz genaues Modell mit allen Einzelheiten gemacht, auch ungeheuer stabile Stühle und eine Bank baute er, als die Möbel nach dem 2. Weltkrieg durch Kriegseinwirkung zertrümmert waren. Die Grenzer hatten als alte Leute aus Grenz fliehen müssen und waren mit wenig Habe herumgeirrt. Tante Anneliese hat einen erschütterten Brief von Tante Lieschen erhalten, wo sie von der Flucht erzählte. Als sie zurückkamen, war die Mühle abgebrannt. Das war ein sehr harter Schlag für Onkel Fritz, den er nicht mehr verwinden konnte.

Er verstarb im Krankenhaus in Prenzlau und wurde dort von einem fremden Pfarrer beerdigt. Der hatte alles mit Onkel Hans besprochen. Onkel Hans war aber sehr taub, und so kam es irgendwie zu einer Verwechslung. Jedenfalls wurde der arme Onkel Fritz in der Leichenpredigt als Onkel Hansens Frau angesprochen. Onkel Hans konnte es zum Glück nicht hören. Wir hatten den Pfarrer bei seinen ersten Beileidsworten schon darauf aufmerksam gemacht, er hatte aber so gut memoriert, dass er die neue Information nicht mehr verarbeiten konnte.

Tante Lieschen war einen Monat vorher im Pflegeheim in Prenzlau verstorben und liegt in Prenzlau auf dem Friedhof.
Onkel Hans Heinrich nahm Onkel Hans zu sich. Dort erlebte er den Brand noch mit und kam aus dem ausgebrannten Haus in das Lobetaler Altersheim, wo er auch verstarb und auf dem Lobetaler Friedhof liegt.

Onkel Hans
Onkel Hans als alter Herr und letzter seiner Generation

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