Das 2. Kind, Tante Johanna, bekam eine gute Stellung in Niederfinow. Dort lernte sie den größten Bauern, Onkel Otto Dühring kennen. Durch Erbschaft war er zu 2 Wirtschaften und einer Bäckerei gekommen. Seine Eltern gewannen Tante Johanna sehr lieb und rieten dem Sohn dringend zur Heirat, da ihr Können und ihr Fleiß mehr Wert wäre, als sein Vermögen. Sie hatte dann auch viel Arbeit, aber einen guten Mann.
Der 3. Onkel Fritz, lernte Müller und sparte, soviel er konnte, um auf die Mühlenbauschule in Mittweida gehen zu können. Alle Zeichnungen und sonstigen Arbeiten für die Aufnahme dort hatte er fertig, als der Krieg ausbrach, und er fort musste.
Die 4., Tante Lieschen, kam 1912 für 3 Jahre nach Madrid, um meine durch Gallensteine damals sehr kranke Mutter zu unterstützen, und sollte 1915 mit uns zurückreisen, wenn Vaters Vertrag dort abgelaufen war, aber der Krieg hielt sie dann 8 Jahre dort fest, was für die Großeltern doppelt schwer war.
Der 5. und Jüngste, Onkel Hans, war mindestens so begabt wie Vater, aber als Jüngster ziemlich verwöhnt und auch faul, wie er mir selbst erzählte. Vater hätte sich so gern seiner Mutter erkenntlich gezeigt und meinte es am besten zu können, wenn er Onkel Hans eine gediegene Ausbildung zahlte. Die Ausbildung im Lehrerseminar sollte die erste Stufe sein. Aber Onkel Hans war damals nicht dazu zu bewegen. Der Großvater unterstützte ihn, und die Großmutter fühlte sich außerstande, noch einmal die Meinungsverschiedenheiten mit dem Großvater durchzuhalten und den Sohn auch noch für das Lernen zu begeistern. Onkel Hans hat es später sehr bedauert. Er hörte auf den Großvater, der ihm zu seinem eigenen Berufsweg riet. So wollte auch er Unteroffizier und Musiker werden. Auch hier machte der 1. Weltkrieg einen dicken Strich durch die Rechnung.
1888 starb der alte Tobies und die Großeltern nahmen die damals 70 jährige Mutter zu sich, die dann 20 Jahre bei ihnen wohnte. In der Erinnerung von Tante Lieschen und Onkel Hans war es eine wunderschöne Zeit.
Tante Lieschen und Onkel Hans sind noch in Papendorf konfirmiert worden. Den Pfarrer dort mochten sie ganz gern. Der legte für jedes Schulkind ein Sparbuch an, auf dem wöchentlich 10 Pfennige gespart wurden, die auch der ärmste Landarbeiter aufbringen konnte. Das wurde in den acht Schuljahren so viel, dass die Kinder zur Konfirmation und für die Lehre ordentliche Kleidung bekommen konnten.
Damals wurden die Kinder der Besitzer mit Vornamen, die Kinder des Proletariats in Schulen und Konfirmandenunterricht mit Nachnamen gerufen. Nun waren unsere Leute so arm wie Landarbeiter, aber Beamtenkinder. Da wurden sie mit Vor- und Nachnamen gerufen. So trat man niemandem zu nahe.
Als Tante Lieschen 1912 zu uns nach Madrid kam, wurde Großmutter 60 Jahre alt. Da sollte sie etwas besonders Schönes bekommen. Großmutter hatte sich einen schönen Sessel, Sorgenstuhl genannt, gewünscht, das war ein Sessel mit hoher Lehne und mit Ohrenklappen. Lange war dieser Sorgenstuhl bei unseren Mahlzeiten im Gespräch. Es gab bei uns auch eine Menge Möbelkataloge, da sich die Eltern 1915 schön einrichten wollten. Da wurde nun der Stuhl ausgesucht, und damit er besonders gediegen ausfallen sollte, beim Pasewalker Tischler in Arbeit gegeben. In welchem Jahr er nun angefertigt wurde, wissen die Lobetaler, die das ”gute Stück”, vom Holzwurm zernagt, erbten. Zu einem Geburtstag der Großmutter stand sie am Fenster und sah, wie der Tischler einen ganz herrlichen Stuhl über die Straße trug, genau wie sie ihn erträumte. Da bog er in ihren Torweg ein und sie bekam ihn. So erzählte es mir Onkel Hans. Der Stuhl wurde gewaltig in Ehren gehalten, aber wenn einem sehr mies war, durfte er darauf sitzen. So verbrachte der Großvater, die Großmutter, Tante Lieschen und Onkel Fritz die letzten Tage, ehe sie aus dem Haus mussten, in diesem Sessel.

Der Krieg war dann bitter für die Großeltern, zwei Kinder in Madrid. Die Post durfte nur wenige Worte enthalten und ging sehr langsam über Frankreich. Onkel Fritz geriet sehr bald in englische Gefangenschaft. Onkel Hans und Onkel Otto an der Front, Tante Johanna hatte kleine Kinder und die große Wirtschaft am Hals. Sie hatte russische Kriegsgefangene zur Hilfe. Sie erzählte mir , wie fleißig und sauber diese beiden Männer gearbeitet hätten, als ob es ihr eigenes gewesen wäre, und sie hat immer mit Achtung behandelt.
Dann wurde endlich Frieden. Die Söhne kamen nach Hause. 1919 konnte dann auch Tante Lieschen die Heimreise antreten. Im Krieg hatte Vater nur den Teil des Gehaltes, den die Madrider Gemeinde ihm zahlte, bekommen können, den Teil, den der EOK zahlte, hatte nicht durchgekonnt. So war es bei uns tüchtig knapp und ”Tanti” hatte folglich ihren Lohn nie ausbezahlt bekommen. Vater rechnete diesen Lohn zusammen, und es gab ein hübsches Sümmchen, was sie ”eisern gespart” hatten. Mit diesem wertbeständigen” Geld kam sie nun nach Deutschland. Onkel Fritzens und Onkel Hansens Ersparnisse drohten in der Inflation verloren zu gehen. Da hatte er die Möglichkeit, im ganz abgeschieden liegenden Grenz von einem trinkenden Müller eine verlotterte Wirtschaft mit Windmühle zu kaufen. Da gingen auch Tante Lieschens Ersparnisse mit hinein. Damit war das ”Vermögen” untergebracht, aber kein Geld vorhanden, die Wirtschaft rundherum zu erneuern. So blieb alles dort Flickwerk und die damals noch nicht alten Leute hatten sich den Weg in die Zukunft ziemlich verbaut. Die Großeltern waren überglücklich ”Hausbesitzer” zu sein. Über die schlimmste Zeit hat es ihnen ja auch herübergeholfen.
In Prenzlau war die große Dampfmühle noch nicht in Betrieb. Onkel Fritz baute in die Schrotmühle einen Mahlgang für Mehl und Grieß und hatte bald viele hungrige Kunden. Manches hat er auch schwarz gemahlen. Die hungrigen Beamten, die kontrollieren sollten, merkten sofort, dass das Weizenmehl bloß Gerstenmehl war, wenn sie eine Tüte ”Gerstenmehl” geschenkt bekamen.
Sie hatten Pachtland, die Großmutter hatte Freude am Garten, eine kleine Weinlaube an der Ecke, viele Johannisbeersträucher für ihren schönen Obstwein. Die Beete waren mit beschnittenem Buchsbaum eingefasst. Auch freute sie sich an vielen schönen Blumen, ein schönes altes Bauerngärtchen. Dem Großvater ging es schon damals nicht recht gut. Er litt unter einer starken Arteriensklerose und der Umzug hatte ihn recht mitgenommen. Da holten sie den Arzt. Der hatte ein menschliches Rühren und bat, ob er mal verschwinden könnte. Die Vorgänger hatten aber kein Klo gehabt und beim Umzug hatten sie so viel zu tun gehabt, dass sie zu diesem Neubau noch nicht gekommen waren. Da waren sie alle schrecklich verlegen und fragten schließlich beim Nachbarn, dem Lehrer, ob er dem Arzt aus der Bedrängnis befreien könnte.
Januar 1912 starb der Großvater nach langer Krankheit und einer schweren Pflege. Bei uns in Madrid hatte die Geldknappheit durch die Inflation angehalten und Vater war es nicht möglich gewesen, seinen Vater wiederzusehen.
Im Sommer 1921 hatte er dann den Mut, die letzte Reise zu machen und seine Mutter wiederzusehen. Er kam ziemlich deprimiert aus Deutschland zurück, das so ganz anders war, als er in Erinnerung hatte. Es zog ihn nichts mehr in die alte Heimat und doch wäre er der Ausbildung seiner Kinder wegen gern hingezogen. Er beschloss nun in Madrid zu bleiben, bis er einen deutlichen Fingerzeig bekäme, was er zu tun hätte. Er starb am 30.12.1922.
Die Madrider deutsche Realschule wurde damals zur Oberrealschule ausgebaut und der Schulrat Doenitz (?), der später Kulturminister in Preußen wurde, nahm die 10- Jahreschulenprüfung, das damalige Einjährige Examen, ab. Er riet Vater, Maria- Luise weiter zur Schule dort zu schicken und wollte ihm behilflich sein, das diese Ausbildung bei einem Umzug nach Deutschland fortgesetzt werden könnte. Er hat dann 1923 Wort gehalten und es Maria Luise und mir möglich gemacht, die Oberrealschule in Potsdam, eine Knabenschule, an der nur wenige Mädchen waren, zu besuchen.
Aber ich wollte ja erst noch von Vaters Geschwistern weiter erzählen. Am liebsten stand uns Tante Lieschen. Merkwürdigerweise gab die Großmutter sie nicht in eine Lehre, obwohl es ihr selbst so gut geholfen hatte. Sie hatte wohl selbst zu viel zu tun und war froh über die Hilfe des Töchterchens. Tante Lieschen erzählte begeistert von dem schönen Spielzeug, das ihre Mutter bastelte, ein wunderschönes Puppentheater, herrliche Puppenkleider.
Einmal zu Weihnachten saßen Onkel Hans und Tante Lieschen in der kalten Küche, während die Großmutter, nachdem sie alle Aufträge für die Kundschaft erledigt hatte, spät abends die Weihnachtsstube zurecht machte. Die Kinder waren müde und ungeduldig und quängelten herum. Da packte auch die Großmutter die Verzweiflung. Sie packte alle Geschenke in die Schürze, ging hinaus und warf es den Kindern in der dunklen Stube vor die Füße.