Nach unserer Mutter wurden noch 6 Kinder, 4 Mädchen und 2 Söhne, geboren.

Bei der Belastung musste das Kindermädchen helfen. Die war sehr kinderlieb aber ”verrückt”, wie Mutter erzählte. Heute nennt man das, sie litt an Depressionen. Wenn der Anfall kam, schloss sie sich in der Kammer ein und zeigte sich niemandem. Nachts schlich sie sich dann in die Küche, wo die Großmutter ihr das Essen appetitlich hingestellt hatte. Wenn ihr wieder wohl war, kam sie wieder zum Vorschein. Sabina hat die Großmutter bis zu ihrem Tod bedient und hielt Kleinvieh in den späteren Jahren, als die Kinder erwachsen waren.
An einem Sonntag bekam Mutter wieder einen Fieberanfall mit Schüttelfrost und rettete sich in die Küche an den warmen Herd, wo sie dann einschlief, ihr Püppchen im Arm. Als sie aufwachte, war das Wachsköpfchen der Puppe geschmolzen.
Um Mutter vor neuen Infektionen zu bewahren, war sie oft im Escorial bei ihrem Gustav (Melzer) und seiner spanischen Frau. Die Liebe war gegenseitig. Herr Melzer war Schlesier, Bäcker- oder Gärtnergeselle, und als wandernder Handwerksbursche über die deutsche Grenze hinausgeraten und hatte nicht mehr an seine Militärpflicht gedacht und die Einberufung verpasst, galt als Deserteur. Er kam zum Großvater und wollte nicht nach Deutschland zurück, wo er dann den Makel ”vorbestraft” hätte tragen müssen. Bei Großvater fand er Arbeit, wohnte im Escorial, bestellte den dortigen Garten und versorgte das ganze Unternehmen mit sehr gutem Brot und Weihnachten auch mit Stollen. Als Mutter in Kaiserswerth war, wurde er amnestiert und besuchte sie dort. Dieses Ehepaar nahm Mutter auf und pflegte sie bestens. Das war dann sehr schön und sie erholte sich gut. Sie bekam aber immer wieder Malaria.

Als kleines Mädchen war sie bei ihren Großeltern in Schottland. Die Großmutter Jeannie erwartete wieder ein Kind und ihre Eltern wollten ihr mal helfen. Es war immerhin das Achte! Und unserer Mutter sollte das Klima auch gut tun. Davon erzählte sie gern. Der Großvater behandelte sie ganz als Lady, z.B. ließ er sie als erste durch die Tür gehen. ”Sie muss doch lernen, was sich gehört und was ihr zukommt.” Sie genoss das gute Essen sehr, besonders die guten Hammelbraten. Der Großvater tranchierte den Braten ganz fachmännisch, was ihr sehr imponierte. Auch staunte sie, dass man morgens früh bei Licht frühstückte. Das Kind ließ sich Zeit. Die Großmutter sagte, dass sie es 13 Monate getragen hätte. Es war groß und kräftig, und sie meinte, deswegen sei die kleine Liesbeth nie satt geworden. Als die Großmutter sich erholt hatte, wurde es Zeit, wieder zur Familie zurück zufahren. Das Schiff hielt auf Reede. Sie wurde zum Schiff herüber gerudert und der Matrose warf das Baby einem anderen, der auf dem Schiff stand, zu. Später konnte Mutter dieses Schwesterchen nur wenig leiden, vielleicht aus Eifersucht, vielleicht war sie durch die Krankheit unleidlich. Mutter war sehr hübsch, und dieses Kind besonders lieblich. Liesbeth starb schon mit 23 Jahren als Braut eines Professors aus Finnland. Sie war auch schwer von Krankheit geplagt. Als Kind hatte sie Veitstanz und dann Gelenkrheumatismus, der das Herz stark angegriffen hat. Sie wurde von der Mutter nach Kaiserswerth geschickt, wo sie bald an Wassersucht starb. 1929 habe ich noch an ihrem Grab gestanden, jetzt ist es planiert.

Die Kinder sollten deutsch erzogen werden, und meine Großmutter hat sie so deutsch erzogen, dass, als der Krieg ausbrach, keins auf ihrer Seite stand. Der Großvater bekam Vikare, die die Söhne unterrichteten. Die Mädchen, vielleicht die Jungen auch, gingen mit auf die primitiven spanisch- evangelischen Schulen und lernten auch Deutsch und deutsche Fächer zu Hause bei den Gouvernanten. Der Großvater ließ sie aus Deutschland kommen und tat sich mit deutschsprachigen Familien zusammen, die das Unternehmen finanzierten. Das war dann der Anfang der deutschen Schule in Madrid.