Unsere Gäste in Madrid von Hildegund Möller
Unsere Mutter war eine tolle Gastgeberin. Sie hatte sofort Zeit für jeden, der zu ihr kam, und bewirtete einfach aber auf das Herzlichste. Vieles hat sie von ihrer Mutter übernommen, die aus einem schottischen Pfarrhaus stammte. In Großbritannien waren die Geistlichen dem Adel gleichgestellt und benahmen sich entsprechend.
Allerdings hatte Mutter „Angst vor großen Tieren“ und erzählte mir, wie fatal ihr der Umgang mit den Herren und Damen von der Botschaft war. So kam wohl der Prinz zur Lippe zu den Eltern und Vater war nicht zu Hause. Da redete sie ihn ganz vornehm an und bot ihm Platz an mit den Worten: „Setz er sich“. Wenn der Alte Fritz so redete, musste es doch vornehm sein. Er sagte dann zu Vater, er solle doch Mutter die Angst nehmen. Sie wären doch auch nur Menschen und könnten normal behandelt werden.
Sie lud dann die Prinzessin ein zum Tee und spendierte Sahne. Im Sommer war es tüchtig heiß, da war die Sahne leider sauer geworden. Mutter war sparsam und probierte nicht, bot nur an. Die Dame nahm davon. Damit es ja reichte, goss sie selbst sich nichts ein. Für die zweite Tasse dankte die Dame freundlich. Als Mutter dann abdeckte, sah sie, dass die Tasse halb voll Quark war. Das hat mir Mutter selbst erzählt. So ganz natürlich hat sich die gute Carola aber auch nicht benommen. Sie hätte ruhig sagen können, dass die Sahne zusammen gelaufen war. Nach solchen Erlebnissen hat sich ihre Angst wohl auch gelegt. Man hat ja auch, sogar nicht nur als junger Mensch, das Recht, Dummheiten zu machen.
Bei Mutter wurde der Tee nicht getrunken, sondern zelebriert. So feierlich war der Ritus. Im Salon empfing sie die Gäste, und am Sofatisch gab es die feinem Porzellantassen auf Untertassen und Kekse dazu aus einer Glasdose mit silbernem Rand und silbernem Deckel, und dabei unterhielt sie sich mit den Leuten, die sie besuchten.
Das waren Kinderfräulein in spanischen, reichen Familien, Erzieherinnen, Lehrerinnen, Köchinnen, Arbeiterinnen aus der Lampenfabrik, und junge deutsche Ehefrauen. Die hatten aber alle ein feines Gespür für Mutters Art. Wenn Herren kamen, musste sich Vater auch die Zeit nehmen.
Einige dieser Gäste habe ich auch kennen gelernt. Es waren Leute, die keinen Anstoß an uns kleinen Kindern nahmen. Da gehen meine Erinnerungen an Fräulein Mertens, unsere liebe Tante Else zurück, die in der deutschen Schule Kindergärtnerin war. Die vesperte auch mal mit uns am Familientisch. Einmal brachte sie einen Klumpen roten Ton mit und knetete mit uns Figuren. Ich sehe noch die Figur, die sie selber darstellen sollte mit langem Rock Wespentaille und großem Federhut. Sie reiste zurück nach Deutschland. Sie schrieb dann, dass sie Lungenspitzenkatarrh hätte, und ihr Vater nicht wünschte, dass sie arbeitete. Vater sagte mir, dass ich sie nicht wiedersehen würde. Sie könnte bei der Krankheit nicht mehr lange leben. Das muss noch gewesen sein, ehe Tante Lieschen zu uns kam.
Eine Gestalt aus der Zeit war Dr. Hadank, ein sehr gelehrter Junggeselle, der oft bei den Eltern Hilfe suchte, trotz seiner Jugend ein gewaltiges Original. Er war Vegetarier und Mutter hat wohl für ihn gekocht. Wenn er kam, hatte er immer die Hosentaschen voll Backpflaumen und schenkte mir welche.
Die Eltern hatten ihm eine Pension besorgt bei einer spanischen Wirtin. Die machte die Betten auf spanische Art, wie wir sie auch machten. Ein Betttuch über die Matratze gespannt, das zweite Betttuch und die Wolldecken darüber gelegt, oben das Betttuch über die Decke geschlagen, an den Seiten und am Fußende alles glatt unter die Matratze geschlagen, dass es fest und ordentlich aussah und oben das Kopfkissen darüber gelegt. Am nächsten Tag kam er zu den Eltern, und Mutter fragte ihn, wie er geschlafen hätte? Nun er hatte gefroren. Mutter zeigte ihm dann, wie das Bett gemacht war, deckte es aber nicht auf. Als er wiederkam, fand er es gar nicht bequem, von oben in den engen Schlauch zu kriechen. Da musste ihm Mutter noch mal zeigen, wie man in diesen Betten zum Schlafen ging.
Er schrieb wohl eine gelehrte Arbeit und machte Aufnahmen in Spanien. Da war er einen ganzen Tag durch Aranjues gewandert und hatte fotografiert. Am Abend bat er Vater, ob er in seiner Dunkelkammer entwickeln dürfte. Vater zeigte ihm alles und gab ihm auch einen Zweikomponenten-Entwickler. Die beiden Teile waren im selben Röhrchen, durch eine Wand getrennt. Dieses hatte an beiden Seiten Korken. Er fand es aber merkwürdig, ein Röhrchen an beiden Seiten öffnen zu müssen und öffnete nur an einer, wodurch der Entwicklung wirkungslos war. Nun öffnete er die Röhrchen, die er noch fand, aber immer an derselben Seite. Nicht mal der Zufall kam ihm zu Hilfe, dass er die zweite Komponente hereingeschüttet hätte, dann hätte es noch geklappt. So kam nichts heraus. Vater holte ihn nach Stunden aus der Dunkelkammer. Da war nichts mehr zu retten. Die Tagesarbeit, Reisegeld, Fotomaterial war alles im Eimer. Mutter fragte ihn, wie seine Bilder geworden wären. Da sagte er bekümmert, er hätte den Entwickler nicht voll ausgenutzt, da wären sie verdorben. Wenn nun einer bei uns eine große Dummheit machte, dann sagte Vater: “ Da hat wieder jemand einen Entwickler nicht voll ausgenutzt „.
In Potsdam gab ich Nachhilfe bei einem Mädchen, dessen Tante hatte Herrn Dr. Hadank geheiratet. Er war Studienrat in Berlin. Der besuchte Mutter mit seiner Frau. Leider tat Mutter sehr geheimnisvoll, und so habe ich ihn nicht wiedergesehen. Vielleicht hat Mutter Angst gehabt, ich könnte ihn fragen, ob er seinen Entwickler nun voll ausnutzt. Als Studienrat hatte er es sehr schwer. Seine Frau sagte, er wäre zu gut für die Bengels. Das konnte ich mir gut vorstellen, als es mir Mutter erzählte.
Ein täglicher Besuch war die Senora Elena, unsere Gemüsefrau. Sie kann jeden Werktag mit zwei großen Körben mit Gemüse, welche sie in der Zentralmarkthalle aufgelesen hatte, wenn es herunter fiel, wenn für die großen Geschäfte abgeladen wurde. Sie wohnte unter dem Viadukt, so ungefähr wie unter einem Eisenbahnbogen. Sie war unvorstellbar arm. Sie hatte ein Hemd. Das wusch sie im Mansanares, der in der Nähe ihrer „Wohnung“ vorbeifloss. Sie hieß mit vollem Namen Elena Ponce de Leon, gehörte zum spanischen Hochadel. Die Familie war verarmt, sie hat als Kind noch eine entsprechende Erziehung genossen. An standesgemäße Heirat konnte ohne Geld nicht gedacht werden, so ist sie immer ärmer geworden.
Bei uns bot sie ihr Gemüse an und bekam einen großen Topf mit heißem Kornkaffee, Milch und Zucker und einem Stück Brot. Wenn sie ganz mittellos war, erzählte sie, dass sie den Tag Geburtstag hätte. Dann bekam sie, ohne zu betteln einen Duro = 5 Peseten geschenkt. Sie hatte so dreimal im Jahr Geburtstag.
Einmal hat sie mit ihrem großen Umhängetuch, dem „Manton“, einen Tontopf mit Milch vom Gas gewedelt. Das war für Mutter ein spürbarer Verlust, und Mutter freute sich durchaus nicht. Da wollte sie sich rechtfertigen, ging nochmals vorbei, um zu zeigen, dass nichts passieren konnte. Die Fransen verfingen sich in der gusseisernen Platte vom Kocher, und der fiel herunter und zerbrach. Mutter sagte nur: “ Genauso muss es gewesen sein „. Da traute sie sich eine Woche lang nicht zu uns, aber das Geschäft und das Aufwärmen in unserer Küche trieb sie wieder zu uns.
Einmal hatte ich eine große Wut auf sie. Vater hatte es geschafft, 1921 endlich zu seiner Mutter in Urlaub nach Deutschland zu fahren, und Mutter war mit uns allein. Am Sonntag hatte sie Senora Elena zum Mittagessen eingeladen. Mutters Haushilfe Julia war eine alkoholkranke Witwe, deren Kind auch noch gestorben war. Sie hielt sich zuerst auch ganz tapferer. Dann übermannte sie die Krankheit wieder. Maria-Luise und ich waren den Nachmittag bei unseren Freundinnen eingeladen. Vater ließ uns allein auf die Straße, und wir sind nie belästigt worden. Aber Elena fing an zu zetern, das gehöre sich nicht. Das wäre nicht standesgemäß, und Mutter verlor irgendwie den Mut und bat Julia, uns zu begleiten und uns wieder abzuholen. Mutter war irgendwie den Spaniern zuliebe spanisch erzogen. Auf dem Hinweg ging es noch, aber der Rückweg! Julia hatte den freien Nachmittag in einer Kneipe zugebracht und konnte kaum noch stehen, als sie uns abholte. Wir fassten sie rechts und links unter und schleppten sie nach Hause. Sie ist uns nicht hingefallen, aber ihre Sinuskurven mussten wir mitmachen. Es ging über unsere Kraft.
Die vom Zirkus.
Da war Frau Lieb, geborene Anna Valenta, sie war Kugelläuferin. Da stellten wir uns so etwas vor wie eine graziöse, geflügelte Fortuna auf der rollenden Kugel. Als wir es dann sahen, waren wir enttäuscht. Sie stand auf der Kugel und balancierte in ganz kleinen Schritten und machte eine Art Bauchtanz, mit dem sie die Kugel in Bewegung setzte, brachte sie eine schräge Ebene hoch auf ein Podest und eine Treppe wieder runter. Ihr Mann war ihr Diener. Die Kugel habe ich so hoch wie den Sitz eines Stuhls in Erinnerung, dunkelblau mit Sternen.
Vater muss sie wohl über den Hilfsverein kennen gelernt haben. Sie tauchte bei uns im 1. Weltkrieg auf. Sie hatte eine Unterleibsoperation durchmachen müssen und konnte eine Weile nicht auftreten, also auch nichts verdienen. So bat Vater sie, bei uns Mutter beim Nähen und Flicken zu helfen, und verschaffte ihr auch andere Stellen. Beim Zirkus müssen sie schon nähen können, denn sie machten damals wenigstens ihre fantastischen Kostüme selbst.
Sie saß da und flickte. Dabei erzählte sie uns aus ihrem Leben vom Zirkus Valenta, der ihrem Vater gehört hatte. Dort hatte ihre Schwester Seehunde dressiert. Sie hatten einen Zirkuswagen mit Wasser für ihre Reisen und ihre Aufenthalte. Es wären ganz besonders liebe, kluge, anhängliche Tiere gewesen und hätten selbst großen Spaß an den Spielen gehabt.
Sie hatte auch zwei dressierte Terrier, genannt Minka und Mirza, die auch allerhand balancierten. Der Mann war recht schwerhörig. Der stellte für sie die Geräte auf und bediente sie in der Vorstellung. Er schien mir ein komischer Typ. Wenn er in ein leeres Zimmer kam, verbeugte er sich vor allen vier Ecken. Frau Lieb sagte mir, wir sind bei unserer gefährlichen Arbeit auf alle guten Geister angewiesen.
Als sie dann ein Engagement hatte, als sie wieder gesund war, sahen wir sie im Zirkus. Sie besuchten uns immer, wenn sie durch Madrid kamen. Vater fotografierte sie in voller Aktion in unserem Garten, auch ihre Hundchen in Tiroler Tracht.
Im Krieg hatten sie Angst vor ihrem deutschen Namen und nannten sich Vivier. Das Letzte, was wir von ihnen hörten, war, dass sie noch mit der Zeit drei begabte spanische Mädchen ausgebildet hatten und nun eine Gruppe waren. Es ging ihnen damals gut.
Da war dann noch Herr Schmidt, ein ganz niedlicher, kleiner Mann, so groß wie ich damals mit fünf Jahren. Er gehörte zu einem Lilliputaner-Zirkus, der zu Anfang des Krieges in Frankreich war und als deutsches Unternehmen nach Spanien abgeschoben wurde. Ihr ganzer Besitz wurde konfisziert, ihre Ponys mit Wägelchen, ihre Kulissen und alle Geräte. Er war ein paar Mal bei uns. Zum Mittagessen bekam er wie ich ein Kissen auf den Stuhl gelegt, damit er besser an den Tisch reichen konnte. An der Kirchentür wollte ihm unser Küster kein Gesangbuch geben, aber er wies sich als Zwerg aus.
Der Krieg brachte großes Elend. Die Deutschen in Frankreich wurden nach Spanien ausgewiesen und kamen mittellos in Madrid an. Da schliefen einige junge und späte Mädchen ein paar Nächte bei uns. Es existierte unter den Deutschen ein Hilfsverein, der Vater viel zusätzliche Arbeit brachte. Einige Deutsche hatten es zu Geld gebracht als Fabrikanten z. T. Hoflieferanten. Die haben reichlich gegeben und ihre Landsleute nach Kräften unterstützt. Andere Deutsche standen auf der schwarzen Liste.
Zu den jungen Leuten gehörte auch Lina Volz und ihr Bruder, der sie in den Ferien besucht hatte. Die mochte ich sehr gern. Als sie Abschied nahm und irgendeine Arbeit gefunden hatte, schenkte sie Friedrich Wilhelm ein Kinderrechenbuch zum Lernen der Zahlen von 1 bis 10, und ich bekam eine Fibel, Comeniusfibel Lernlust hieß sie. Ich denke, sie hat etwas mit Herrnhut zu tun. Sie hatte eine fortlaufende Geschichte in Bildern von einer kinderreichen Familie, bei der es genau so zuging wie bei uns. In Obertertia sollten wir mal einen Aufsatz über unser liebstes Buch machen. Da habe ich mich aber geniert, von der Fibel zu erzählen. Aus dem Buch habe ich aber eigentlich Lesen gelernt.
Der Weg zur Schule war für manche Kinder sehr weit. Dienstags und freitags gab es auch nachmittags Schule. Die Pause war kurz. Da war der Weg nicht zu schaffen. Da kamen die Freyer-Jungen zum Essen zu uns, Waisen eines deutschen Vaters und einer spanischen, sehr freundlichen Frau. Über den Hilfsverein hatte die Witwe schneidern gelernt und arbeitete als Hausschneiderin. Ihre Eltern lebten noch und stellten Alpargatas her, in Deutschland als Dachdeckerschuhe bekannt, Stoffschuhe mit geflochtenen Hanfsohlen, in Spanien allgemein Schuhe der armen Leute. Die Großeltern betreuten die Jungen. Sie sollten aber als Deutsche erzogen werden. Sie gingen mit Hilfe für das Schulgeld zur deutschen Schule. Meine Base Gertrud kam auch zu den Mittagsgästen und dann noch Paul Burding. Er nannte sich Baul Purding. Seine Eltern stammten aus Thüringen.
Als Portugal in den Krieg eintrat, wurden auch hier die Deutschen nach Spanien abgeschoben. Da waren viele Glasbläser darunter, die nur mit ihren Köfferchen kamen. In Portugal gab es eine große Glashütte, in Spanien nichts dergleichen. Die armen Leute konnten keine Arbeit finden, bekamen höchstens Gelegenheitsarbeit als Ungelernte trotz ihrer großen Fähigkeiten als Spezialisten. Es war schon ein großes Elend.
Zu ihnen gehörte auch Familie Burding, Opa Paul mit seiner deutschen Frau, Vater Paul mit seiner portugiesischen Frau und der kleine Paul. Die beiden Herren hatten wallende, rote Vollbärte und der kleine Paul konnte die Haare bis zu den Augenbrauen in die Stirn ziehen und mit den Ohren wackeln.
Sie wohnten am Rande der Stadt, beinahe schon in den Slums. Der kleine Paul, 1. Schuljahr, musste mal eilig und stand vor dem Klo und klopfte an. Da niemand drin war, konnte auch keiner „herein“ rufen, und da ging es in die Hosen. Da habe ich Mutter bewundert, wie sie ihn sauber machte, alles wusch und zum Trocknen aufhängte und ihn mit Sachen von Friedrich Wilhelm versehen hat, dass er wieder in die Schule gehen konnte.
Zu den Glasbläsern gehörte auch Familie Jasper. Die schlugen sich auch tapfer durch. Die Töchter züchteten Seidenraupen, und ehe die Seidenraupen schlüpften, mussten die Fäden von den Kokons abgespult werden, wozu sie ganz feine Apparate hatten. Das schwierigste schien ihnen, den Anfang des Fadens zu finden, dann ging es mit Fingerspitzengefühl schon weiter. Sie machten auch ganz wunderschöne, zarte Bastkörbe. Die Einzelteile wurden von den Männern aus Draht gebogen und verlötet, von den Frauen mit Bast umknüpft und die Zwischenräume mit Spitzenstichen ausgefüllt.
Für die beiden Töchter, die Vater konfirmierte, ist Mutter um weiße Konfirmandenkleider bitten gegangen. Sie bekam auch schöne, weiße Tenniskleider mit wollenen Röcken, eigentlich praktisch, denn die Röcke konnten sie ja noch färben. So sahen sie genauso festlich aus wie andere Mädchen. Die Eltern luden sie auch einmal zum Kaffee ein. Vater hatte Dienst, und Mutter war allein mit ihnen im Esszimmer. Sie zierten sich so und wollten gar nicht zulangen. Mutter wusste gar nicht, wie sie ihre Gäste noch nötigten sollte. Da wurde sie für ein paar Minuten abgerufen. Als sie zu ihren Gästen zurückkam, war alles leer. Sie ging hinaus, füllte alles auf und sagte Tante Lieschen, sie sollte sie noch ein paar Mal abrufen. Als sie dann gingen, hatte Mutter das Gefühl, dass Sie sich mal richtig satt gegessen hatten. Sie schenkten den Eltern eines ihrer wunderbaren Körbchen.
In diesen schweren Jahren luden die Eltern auch das Lehrerkollegium zu einem Abend unter den Tannenbaum in den Weihnachtstagen ein. Da gab es tolle Vorbereitungen in der Küche. Eine Riesenschüssel Kartoffelsalat wurde gemacht und die Schüssel sehr schön verziert, und Berge belegter Brötchen zubereitet. Wir bekam vor dem Zu- Bett -Gehen auch unseren Teil, denn mit Resten war kaum zu rechnen. Alle unsere Stühle wurden von und herunter getragen. Da war oben in den Schlafzimmern ein noch größeres Durcheinander als sonst. Wenn wir dann im Bett lagen, ging unten die Stimmung los. Unser Schlafzimmer lag über dem Wohnzimmer. Da hörte man noch lange das Getöse.
In diesen großen Rahmen fand es zum ersten Mal 1915 statt und zwar am 28.12. Das ist in Spanien der Tag der unschuldigen Kinder und wird dort wie bei uns der 1. April begangen. Da haben einige die Einladung für einen Aprilscherz gehalten und blieben fern, ohne sich zu entschuldigen und schämten sich hinterher sehr.
In den frühen Morgenstunden des Tages war auch noch unser Gottfried geboren. Tante Lieschen war auch da, und so kam das Fest doch zu Stande. Am nächsten Tag kam von den Lehrern ein herrlicher Rosenstrauß in einer maurischen Vase als Glückwunsch für Mutter. In den nächsten Jahren kamen dann alle zu diesem Fest.
Nach dem Krieg gab es nun wieder ganz andere Gäste. Unser Haus mit Kirche lag neben der Botschaft und hatte dieselbe Hausnummer. Als Staat und Kirche sich trennten, behielt die Botschaft die Nummer 4 und das Pfarrhaus bekam die Nummer 6, im Pase de la Castellana.
Da kam auch Professor Obermaier, ein gelehrter Herr und Vorgeschichtsforscher, übrigens war er Mitglied des Jesuitenordens. Er bearbeitete die Funde in den Höhlen von Altamira, besonders die Felsbilder dort. Er hatte den Auftrag, diese Bilder im Museum in Madrid genau abzubilden. Als er von seiner Arbeit erzählte, durfte ich mich unter Mutters Schreibtisch setzen und dem Gespräch zuhören. Dann durfte ich auch ins Museum mitgehen, wo die Arbeiter unter seiner Leitung mit Stuck arbeiteten und er Vater alles erklärte. Die vielen aufgereihten Pfeilspitzen haben mich aber gelangweilt. Toll war es in Weimar im Museum für Urgeschichte, wo wir eine Führung mitmachten, wo sogar gezeigt wurde, wie die Leute damals Feuer gebohrt haben.
Eine weitere Prominenz war Professor Sauerbruch. Der bot Spanien eine Lizenz für eine bewegliche Armprothese an. Er hatte zwei Invaliden mit, die gut mit den Prothesen umgehen konnten. Vater holte uns aus den Betten, damit wir uns das Wunderwerk ansehen konnten. Die Kriegsversehrten gaben uns die Holzhand mit den eisernen Fingernägeln und drückten ganz zart. Wir sahen auch die Arbeitsarme, die Handwerkszeuge bedienen konnten. Aus den Kriegen in Nordafrika kamen viele Krüppel zurück.
Da war dann auch noch Herr Scherz und Herr Radatz, die im Krieg Flieger gewesen waren und nun Flieger auf dem Madrider Flughafen Quadrovientos waren. Vater besuchte sie einmal und erzählte, dass dort die Luftschrauben mit Rizinusöl geölt würden. Mann war ich froh, dass sich eine bessere Verwendung für das eklige, giftige Zeug gefunden hat.
Die unruhigen Zeiten schwemmten auch allerhand andere Gestalten nach Madrid. Ein Exemplar war Herr Krummheller, der den Krieg in Mexiko zugebracht hatte. Dort hatte er über die Rosenkreuzer geforscht, zu denen er gehörte. Er hatte auch ein seiner Meinung nach weltbekanntes Standardwerk über die „Rosenkreuzer in Mexiko “ geschrieben. Jedenfalls konnte er Geister und anderes übersinnliches Zeug sehen, was sich angenehm gruselig anhörte. Er und seine ganz junge, schwangere Frau waren an Silvester im Familienkreis eingeladen. Seine Frau war recht elend und klagte, dass sie nichts bei sich behalten könnte. Unser Abendbrot hat sie aber vertragen und am nächsten Tag kam sie und bat, ob sie was von dem Bratenschmalz bekommen könnte, es hätte ihr so gut getan. Mutter schenkte ihr dann den Rest. Sie müssen dann weitergefahren sein.