Die Kindheit unserer lieben Mutter Frieda Albrecht, geb. Fliedner nach ihren Erzählungen von Hildegund Möller
Als wir noch in Madrid wohnten, erzählte uns Mutter am ”Totensonntag” gern aus ihrer Jugend. Ihre Eltern Friedrich Ludwig Philipp Eugen Fliedner (geb. am 10.6.1845 in Kaiserswerth, gest. 25.4.1901 in Madrid) und Jeannie Erskine Brown (geb. am 11.1.1851) heirateten am 18.6.1872. Mutter wurde am 27.1.1882 in Madrid als 7. Kind geboren. Die Freude war groß, denn 3 Töchterchen waren der Familie sehr jung gestorben.

Ihre älteren Brüder Theodor, Georg und Hans hatten sich sehr gut entwickelt. Ich weiß die Geburtstage der Brüder und auch der kleinen Mädchen nicht, Theodor und Georg waren zwei Jahre auseinander. Nach schottischer Sitte hießen die beiden ersten Mädchen Karoline nach der Mutter des Vaters, Agnes nach der Mutter der Mutter und Hedwig. In meinem ”Ahnenpass” steht diese Mutter allerdings als Erskine, aber Mutter erzählte es mir so. Eine Schwester meiner Großmutter Jeannie hieß Agnes.

Die Freude war groß und die Hoffnung, dass dieses Töchterchen am Leben bliebe. Die Großmutter wollte ihr gerne den spanischen Namen Consuelo, d.h. Trost, geben, aber der Großvater wollte es nicht, da sie bestimmt in Deutschland Consülo genannt worden wäre, und das klingt gewaltig doof. So nannte die Großmutter sie nach dem Vater Friederike, woraus Frieda mit ”ie” wurde. Es bestand ein besonders inniges Verhältnis zwischen ihr und ihrem Vater, und die Eltern haben wohl oft um das Leben der kleinen Tochter bangen müssen.

Als Frieda klein war, lebte die Familie im Palast der Prinzessin Eboli (schlag nach bei Schiller: Don Carlos ). Ihr Vater brauchte Platz für die Familie, die durch Waisenkinder recht groß war. Er brauchte billigen Wohnraum, denn je sparsamer sie lebten, um so mehr Pflegekinder konnten sie großziehen. Der Palais war billig, weil es nicht mehr so im besten Zustand war. Es lag nahe am schönen, barocken Königsschloss. In diesem Gebäude gab es viel Platz und Möglichkeiten, Verstecken zu spielen, aber kein Wasser, kein Gas , keinen Strom, auch keinen Brunnen in der Nähe. Früh kam der Wasserträger und füllte 2 mannshohe Tonkrüge (Tinajas) mit Wasser, und damit musste man den ganzen Tag auskommen. Man musste genau einteilen. Jahrelang hatte Mutter das Amt, die Petroleumlampe zu putzen. Auch ging man viel mit Kerzen um. Es ist kein nennenswerter Schaden entstanden. Ob es Öfen gab, weiß ich nicht.
Mutter hatte als Kind viel unter Malaria zu leiden. Schon das Chinin zu schlucken war hart. Um den Geschmack zu überdecken oder als Belohnung für tapferes Schlucken, bekam sie nach dem Pulver ein Stück Zucker vom Zuckerhut. Das schenkte sie regelmäßig ihrem Lieblingsbruder Hans, der ihr im Alter näher stand als die beiden Großen. Mal kam ihr auch der Gedanke, dass er doch mal wenigstens ihr großes Opfer nicht annehmen sollte, aber andererseits schenkte sie es ihm doch zu seiner Freude. Und Weihnachten kam dann die große Freude. Er hatte den ganzen Zucker gerieben und Zimt daran getan und es ihr geschenkt.
Unsere Großmutter hatte wenig Zeit für ihre Kinder. Sie konnte neben ihrer schottischen Muttersprache perfekt Deutsch und Spanisch. Damit konnte und musste sie ihrem Mann helfen. Sie übersetzte wertvolle Kinderbücher ins Spanisch, die dann im ”Amigo de la Infanca”, Kinderfreund, dem Sonntagsblättchen für artige Sonntagsschulkinder, in Fortsetzungen erschienen oder als Bücher im Buchladen gekauft werden konnten.