Zeiterscheinungen (Hildegund Möller, 1999)

überarbeitet von Nichte Adelheid Abjörnson

Erziehung und Bildung

Meine Mutter, Jahrgang 1882, war in Kaiserswerth auf dem Seminar in alter Fliednertradition. Dort lernte sie, zur Kindererziehung gehört es, dass die Kinder Angst hätten.
Ein Gegner dieser Erziehung war Fröbel, der im Kind schon einen fertigen Menschen sah und wusste, wie kritisch schon ein 3-Jähriger sein konnte. Es wurde für diese Erkenntnisse politisch verfolgt. Wenn jedes Kind schon Menschenwürde hatte, konnte man keine Untertanen erziehen.
Mein Vater hat, ehe er Arbeit als Pfarrer in Madrid fand, in Keilhau in einem Fröbelinternat gearbeitet und die Pädagogik meiner Mutter ausgeglichen.

Nach dem frühen Tod des Vaters war meine Mutter eine der ersten Frauen, die „Vormünderin“ für ihre Kinder wurde. Vater hatte sie in einem Testament dazu bestimmt. Vaters Freunde, die er gebeten hatte, Mutter mit gutem Rat beizustehen, machten ihr eher das Leben schwer. Die Pension lag unter dem Existenzminimum. Das Kindergeld betrug 20 RM, genau so viel, wie das Schulgeld kostete. Davon gab es auch nur für fünf von sieben Kindern.

Wir fanden ein Volksliederbuch für junge Lehrerinnen zum totlachen. „In einem kühlen Grunde da geht ein Mühlenrad. Mein Onkel ist verschwunden, der dort gewohnet hat.“ So züchtig wurden Frauen erzogen, die in die Volksschule sollten, wo schließlich ja auch Kinder aus asozialen Familien erzogen wurden, und denen sie vorwärts helfen sollten.

Hans und Kurt freuten sich als kleine Kinder am Geklapper und am Balztanz der Störche. Da kam Vater aus dem Haus und hielt ihnen die Augen zu.
Als sie heirateten haben sie beieinander Rat gesucht, und wussten beide nicht, wie man eine Frau „beglückt“. Sie waren nie in „schlechte Gesellschaft“ geraten, auch zu gehemmt um sich einschlägige Literatur zu besorgen.

Rechte der Frau

Die Rechte der Frau waren bis 1918 sehr eingeschränkt. Die verheiratete Frau ging laut Bürgerlichem Gesetzbuch (seit 1900 gültig) von der Vormundschaft des Vaters in die des Ehemanns über. Der hatte dafür zu sorgen, dass sie genau so gehalten wurde wie in ihrem Elternhaus, dazu ein ihrer sozialen Stellung entsprechendes Nadelgeld und ein eigenes Taschengeld erhielt.
Laut BGB durfte der Mann die Frau schlagen.
Die unverheiratete Frau musste, wenn sie kein Kapital hatte, von ihren Brüdern ausgehalten werden (Familientante).
Ausbildung galt als Kapital.

Über die Rechte der berufstätigen Frau weiß ich nichts.
Die Proletarierinnen waren gleichberechtigt in ihrer Kaste.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist in der sowjetischen Besatzungszone, also noch vor der DDR, 1947 erreicht worden.

Der Nationalsozialismus

Der Nationalsozialismus führte zu einem Riss durch Deutschland.
Als Studenten wurden wir zu einer Rede von Hitler in den Sportpalast eingeladen. Hitler machte mir den Eindruck eines mindestens nicht ernst zu nehmenden Hampelmanns, wenn nicht eines leicht verrückten. Als er dann die Macht übernahm und Hindenburg in stützte, da staunte ich, aber Hindenburg war mir ein Garant.

Unser schöner Studentenverein, die Fichte-Hochschulgemeinde, zerfiel und löste sich auf.
In Potsdam erlebte man vieles anders als in Rackith. Da konnte uns nicht verborgen bleiben, dass uranständige Offiziere von Hitler hingerichtet wurden. Helmut James von Moltke aus Kreisau war in der Parallel-Klasse von meiner Schwester Maria-Luise.
Wir waren Mitglieder der Bekennenden Kirche und haben keine Hehl daraus gemacht. Meine Mutter war eine überzeugte Gegenerin des Regimes.

Im Programm der NSDAP stand, sie treten für positives Christentum ein, worunter Hitler caritative Arbeit verstand. Vater Möller aber den festen Glauben an die wörtliche Inspiration der Bibel und war begeistert. Kurt brach fast zusammen, als er nach dem Krieg von den Gaskammern, den KZ erfuhr. Mit hatte er das nicht geglaubt.
Meine Mitgliedschaft ruhte, als ich heiratete und danach Kurts Mitgliedschaft in der NSDAP entdeckte.

Mutter Agnes hatte Heidenangst vor mir und fürchtete, dass ich Unglück über die Familie brächte. Als wir aus Karlsruhe evakuiert waren und in Rackith wohnten, gab sie mir jeden Brief von ihr geöffnet und gelesen, sogar Kurts Feldpostbriefe. Ich glaube nicht, dass Vater das wusste. Ich habe gehofft, dass es ihr die Angst genommen hat und habe mich nicht gewehrt.

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